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ARBEITSSCHUTZuptodate!
Banküberfall |
Ein 38-jähriger Mann hat heute eine Bank in München überfallen. Er konnte zunächst mit mehreren tausend Euro entkommen, wurde dann allerdings von der Polizei geschnappt. Am Mittwochmittag betrat ein 38-jähriger Mann eine Bankfiliale. In der Geschäftsstelle befanden sich zu diesem Zeitpunkt mehrere Angestellte und Kunden. Der Täter hielt einen schwarzen Gegenstand in der Hand, schrie „Überfall“ und äußerte, dass er alles in die Luft sprengen werden, wenn er kein Geld erhalte. © München-TV |
Bewaffneter Raubüberfall auf Bäckerei in Kerpen |
Erneut ist es zu einem Raubüberfall auf eine Bäckerei in Kerpen gekommen. Ein bislang noch unbekannter Täter bedrohte am Montagmorgen eine 23-jährige Angestellte mit der Pistole und zwang die Angestellte das Bargeld heraus zu geben. Anschließend flüchtete er mit der Beute in unbekannte Richtung. Die 23-Jährige erlitt einen Schock und wurde von einem Rettungswagen ins Krankenhaus gebracht, wo sie vorsorglich behandelt wurde. © Kölner Stadtanzeiger |
Raubüberfall auf Baumarkt |
Die Heilbronner Polizei fahndete bis zum Abend weiter nach einem Mann, der am Donnerstagmorgen um kurz vor 8 Uhr einen Raubüberfall im BayWa-Baumarkt in Ellhofen verübt haben soll. Nach Angaben der Polizei hatte er eine Verkäuferin mit vorgehaltener Pistole bedroht. © Heilbronner Stimme |
Weil scheinbar kein Mensch körperlich verletzt wurde, ist der Übergang zur Normalität schnell vollzogen. Das ist jedoch zu kurz gedacht. Wer sich die Statistiken anschaut, sieht, dass in 2015 zwar nur 148 Banküberfälle, jedoch 636 Tankstellen, 628 Spielhallen, viele Bäckereien und Baumärkte überfallen wurden. Die Überfälle fanden dort statt, wo viel Bargeld vermutet wurde.
Ein Banküberfall dauert durchschnittlich 1–3 Minuten, wobei die Täter meistens nicht die Absicht haben, Geiseln zu nehmen. Das gilt auch für die oben genannten Überfallorte. Die am häufigsten auftretenden psychischen Reaktionen können während und nach dem Überfall Wahrnehmungsbeeinträchtigungen, De-Realisierung, De-Personalisierung, Emotionale Taubheit und teilweiser oder völliger Verlust der Erinnerung an das Geschehen sein. Übererregtheit, De-Organisation, Erstarrung, Hilflosigkeit bis hin zur Fluchttendenz können Reaktionen während des Überfalls sein. Erhöhte Bewusstseinseinengung, starke Nervosität und Angst vor weiterem Kontrollverlust – über sich selbst und Situationen – kann sich nach dem Überfall einstellen. Nach Überfällen und Gewalttaten kann sich ein intensiv erlebtes Gefühl der Lebensbedrohung einstellen. So kommt es oft zu einem ausgeprägten Gefühl von Unsicherheit.
Nach dem Amoklauf am Olympiaeinkaufszentrum in München am 22. Juli 2016 sagt eine hilflose Boutique-Besitzerin am Tag der Wiedereröffnung: „Meine Mitarbeiter wollen nicht mehr ins OEZ zur Arbeit kommen.“
Aus Sicht von Außenstehenden ein ganz normaler, verständlicher Vorgang, weil den Mitarbeitern das Sicherheitsgefühl abhandengekommen ist. Für Fachkräfte für Arbeitssicherheit und Führungskräfte liegt die Aufgabenstellung darin, die betroffenen Mitarbeiter ernst zu nehmen und soweit aufzubauen, dass sie zu ihrer Selbstbestimmung zurückfinden.
Wahrnehmungsbeeinträchtigung
Wenn Wahrnehmungsbeeinträchtigungen auftreten, können alle fünf Sinne betroffen sein. Viele Befragungen haben ergeben, dass Betroffene keine Wahrnehmung hatten, wo sich die Kollegen zum Zeitpunkt des Überfalls befanden, weil die Fixierung auf den Täter beziehungsweise der Tunnelblick so stark waren.
De-Realisierung
Betroffene schildern, dass sie den Überfall oft nicht als Überfall realisiert haben, sondern sich wie im Film vorkamen.
De-Personalisierung
Die De-Personalisierung tritt bei Überfällen eher selten ein, sondern gilt als häufige Stressreaktion bei Folter- und Vergewaltigungsopfern. Im Fall der De-Personalisierung kommen sich Betroffene so vor, als ob sie sich von außen selbst betrachten, z.B. wenn Verkehrsunfallopfer das Gefühl haben, von oben auf den Notarzt zu schauen, der sie reanimiert.
Laut ICD-10 (Klassifizierung von Krankheiten der WHO) handelt es sich hier um eine seltene Störung. Betroffene beklagen spontan, dass ihre geistige Aktivität, ihr Körper oder die Umgebung sich in ihrer Qualität verändert haben und unwirklich, wie in weiter Ferne oder automatisiert erlebt werden. Die meistgenannten Veränderungen geben die Betroffenen mit Emotionsverlust, Entfremdung und Loslösung vom eigenen Denken,
vom Körper oder von der umgebenden realen Welt an.
Emotionale Taubheit
Nach Überfällen sprechen Betroffene oft von totaler Emotionslosigkeit, was sie als befremdlich erleben und zu starker Unsicherheit führt.
Dissoziative Amnesie
Bei der Trennung von Wahrnehmungs- und Gedächtnisinhalten handelt es sich um Dissoziation. Nach Überfällen kommt es immer wieder vor, dass sich Betroffene nicht mehr an Teile des Überfalls erinnern. Die fehlenden Teile werden im Gehirn nicht abgespeichert. Die erste Erinnerung kann das Betreten des Täters in die Filiale sein. Die nächste Erinnerung ist das Eintreffen der Polizei in der Filiale.
Bedürfnisorientiertes Arbeiten in der Akutphase
Als wertvolle Ressource gelten der Arbeitgeber und die Kollegen. Bedürfnisorientiertes Arbeiten in der Akutphase bedeutet zuerst, dem stark beeinträchtigten Sicherheitsgefühl gerecht zu werden. Erste Linderung kann das Telefonat nach Hause – Ich bin unverletzt! – sein sowie den Betroffenen schnell wieder in aktive Handlungsphase zu bringen. Dazu zählen
▶ Kassenstand prüfen
▶ „Spuren sichern“
▶ Bereitstellung des Überwachungsvideos
▶ Gespräche mit dem Sicherheitsbeauftragten/Innenrevision
Ressourcenorientiertes Arbeiten in der Akutphase
In dieser Phase sollte bereits ein Kriseninterventionsteam/Notfallseelsorge vor Ort sein. Wenn Nein, sollte ein Spezialistenteam hinzugezogen werden. Gespräche mit den auf Akutbetreuung geschulten Profis werden von Betroffenen im Nachhinein immer als hilfreich empfunden. Neben ersten Hilfestellungen wird in diesen Gesprächen über persönlich und emotional Erlebtes gesprochen.
Richtiges und positives Verhalten während dem Überfall ist Thema in den Gesprächen mit der Kriminalpolizei. Betroffenen soll das Gefühl vermittelt werden: In der Situation habe ich mich richtig verhalten. Sicherheitsbeauftragte und Führungskräfte sollten die unterschiedlichen Bewältigungsressourcen wie privates Umfeld, Familie, Netzwerke und Freizeitverhalten klären.
Sicherheitsgefühl zurück erlangen
Nach Überfällen ist eine Nachbesprechung unbedingt sinnvoll, weil über individuelle Unterstützungsvereinbarungen und Lösungen gesprochen werden kann. Das erste angestrebte Ziel ist, das Betroffene ihr Sicherheitsgefühl wieder erlangen. Schon einfache Lösungen können dabei helfen:
▶ Kein Mitarbeiter steht alleine am Kundenschalter oder an der Verkaufstheke.
▶ Ein Sicherheitsunternehmen wird beauftragt und ein Wachmann steht mehrere Wochen vor der betroffenen Filiale.
▶ Wenn machbar, wird der Betroffene in einer anderen Filiale eingesetzt, um sich nicht täglich mit der Situation auseinandersetzen zu müssen.
Sehr wichtig ist die Rücksichtnahme auf die psychischen Befindlichkeiten der Betroffenen. Wenn Fachkräfte für Arbeitssicherheit sich präventiv ein Netzwerk von psychologisch geschulten Spezialisten aufgebaut haben, sollten sie die Betroffenen an diesen Personenkreis weiterempfehlen.
Das kann heißen, dass ein Angebot zur Weitervermittlung einer psychologischen Beratung ausgesprochen wird, weil die Realisierung oft erst am Abend oder eine Zeitlang später einsetzt. Diese Vorgehensweise dient in erster Linie der Stabilisierung des Betroffenen und der Vermeidung von Fehlzeiten.
In der Realisierungsphase kann es zu einer ganzen Reihe von unterschiedlichen Reaktionen kommen. „Als Verkäuferin habe ich in 27 Jahren drei Überfälle persönlich miterlebt. Die Gespräche mit den Spezialisten haben mir jedes Mal sehr geholfen, das Erlebte so gut wie möglich zu verarbeiten. Vor vier Wochen wurde unsere Filiale 17 Kilometer weiter überfallen. Obwohl ich nicht persönlich betroffen war, kamen alle Bilder wieder hoch. Es dauert dann ungefähr fünf Tage, bis ich wieder voll einsatzfähig war.“, sagte eine Filialleiterin einer Bäckereikette. In diesem Fall wird von Re-Traumatisierung gesprochen, weil die Erinnerung mit all dem Erlebten wieder hoch kommt.
Nicht nur für die Fachkräfte für Arbeitssicherheit ist die Zusammenarbeit mit den Behörden wichtig. Die Zusammenarbeit mit den Behörden ist für Betroffene deshalb von Bedeutung, weil es positive Unterstützung gibt und sie schneller und konstruktiver zurück in die Handlungsphase kommen. Somit kann die Verarbeitung der Ereignisse sofort beginnen. Da Betroffene zugleich auch Opfer sind, ergeben sich hieraus Rechte und Pflichten. Sehr gute Hilfe bietet der WEISSE RING. Er hilft Menschen, die Opfer von Kriminalität und Gewalt geworden sind, kümmert sich auch um Angehörige und menschlichen Beistand sowie persönliche Betreuung. Die Mitglieder begleiten die Betroffenen zu Terminen bei der Polizei, Staatsanwaltschaft und Gericht, gewähren Rechtsschutz und finanzielle Unterstützungen in tatbedingten Notlagen.
Zitate Betroffener aus einem Internetforum belegen die mittel- und langfristigen Folgen eines Überfalls:
Depressionen und Albträume
„Meine Laune schwankt wie eine Fahne im Wind. Ich habe fast kein Glücksgefühl mehr und gucke den ganzen Tag nur melancholisch drein. Mir macht nichts mehr Spaß, außerdem habe ich keinen Appetit. Ich wache nachts immer wieder auf, wegen ein und demselben Albtraum: Ein maskierter Mann hat mich in einen Käfig gesperrt und lacht mich aus, wenn ich um Hilfe oder Befreiung flehe.“
Angststörung und physische Reaktionen
„Anfangs konnte ich nicht an jungen Leuten vorbeigehen, die einen schlaksigen Gang hatten. Einmal hätte ich beinahe einem jungen Mann eine geknallt, weil er sich sehr aggressiv mit seiner Freundin stritt. Ich hatte richtig Herzrasen bekommen.“
Trauma und Existenzgefährdung
„Auch nach so vielen Jahren kann ich die Bilder, Geräusche und Gerüche nicht vergessen. Trotzdem gehe ich arbeiten, da meine Existenz dran hängt. Wenn mich meine Ärztin deswegen krankschreibt und die BG die Zahlung von Verletztengeld ablehnt, dann darf die Krankenkasse kein Krankengeld zahlen. Kreuzt meine Ärztin keinen Arbeitsunfall an, sagt die BG, ich war ja nicht deswegen krank.“
Weitere Symptome und Langzeitfolgen sind möglich.
Das erste Ziel ist es, den Betroffenen die notwendige Sicherheit zu vermitteln und die Möglichkeit zu geben, schnell das Gefühl der Kontrolle wiederzuerlangen. Der Arbeitgeber, Betriebsräte, Fachkräfte für Arbeitssicherheit und Führungskräfte sollten das Wir-Gefühl stärken: Wir sind für Sie da! Wir stehen das gemeinsam durch! Das verlangt von allen viel Empathie und Zeit mit den Betroffenen. Sehr sinnvoll ist das hinzuziehen von externen Experten, weil diese geschult sind mit der Situation angemessen umzugehen und den notwendigen emotionalen Abstand haben.
Psychologische Beratung
In vielen Fällen kann eine psychologische Beratung sinnvoll sein. Einige Berufsgenossenschaften z.B. die BG Verkehr in Berlin, bieten Unternehmen Kontakte zu Trauma-Therapeuten an. Manche Arbeitgeber bieten ihren Mitarbeitern an, im Fall der Fälle die ersten fünf Stunden einer psychologischen Beratung zu zahlen, was von den Betroffenen als Wertschätzung wahrgenommen wird.
Kommt es zu einem Überfall, sind meist mehrere Mitarbeiter betroffen. Da Kriseninterventionsteams/Notfallseelsorger im Durchschnitt nur 123 Minuten betreuen, ist es sinnvoll, das betriebliche Notfallmanagement präventiv um funktionierende externe Netzwerke auszubauen oder zu ergänzen. Den Mitgliedern des Arbeitssicherheitsausschusses kommt hier eine wesentliche Rolle beim präventiven Aufbau der Netzwerke wie auch als erste Ansprechpartner der Kollegen zu. Der Fachkraft für Arbeitssicherheit kommt auch die Aufgabe zu, einen Unfallbericht zuschreiben. Im oben genannten dritten Fall ist das versäumt worden. Die Auswirkung spürt die Betroffene sogar 15 Jahre später.
Der Autor |
Ulrich Welzel ist Notfallseelsorger, ausgebildet in psychosozialer Notfallversorgung, Demenzhelfer, Hospizbegleiter und Kommunikationsspezialist und leitet ein multidisziplinäres Spezialisten-Team. |
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