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ARBEITSSCHUTZuptodate!
Arnold |
Irgendwann kam Arnold auf mich als SBV zu und meinte, er müsse mal mit mir reden. Wir kannten uns zu dem Zeitpunkt schon einige Jahre. Arnold ist ein großer, präsenter Mann. Das Gespräch nahm folgenden Verlauf: Arnold: „Meine Kollegen haben gesagt, ich solle mit dir sprechen, um einen Antrag zur Feststellung einer Schwerbehinderung zu stellen.“ Ich: „Ok, was ist denn los?“ Arnold: „Also, ich habe eine neue Hüfte.“ Ich: „Ok, noch was?“ Denn ich hatte gelernt, dass Prothetik nicht automatisch einen Grad der Behinderung (GdB) bedingt. Arnold: „Ja ich habe Asthma.“ Ich: „Ok, noch was?“ Arnold: „Von der linken Hand kann ich nur 2 Finger bewegen.“ Ich: „Ups, das ist mir nie aufgefallen. Dann lass uns mal beginnen und das Antragsverfahren starten.“ Einige Woche später füllten wir den An-trag zur Feststellung der Schwerbehinderung aus. Arnold gab ihn aber nie ab. Es gab immer wieder Ausreden. Entweder hatte er kein Foto, oder er fand keine Zeit, den Antrag abzugeben oder der Antrag war weg. Ich stellte meine Begleitung ein. Die Monate gingen ins Land und ich erfuhr, dass Arnold noch Diabetes und MS bekommen hatte. Als er wieder im Job war, füllten wir ein neues Antragsformular aus, dass er auch tatsächlich abgab. Das Antragsverfahren dauerte sehr lange. Arnold musste auch noch zum Gutachter. Irgendwann stand er dann sehr bedrückt vor mir und zeigte mir seine Feststellungsurkunde. GdB von 80 und das Merkzeichen G (Gehbehindert). Er meinte: „Oh Mann, ich schmeiße das weg. Ich bin ja gar nichts mehr wert.“ Ich beruhigte ihn und wir gingen zur Personalabteilung, um den Zusatzurlaub ein- und nachtragen zu lassen. Schön war, dass Arnold nun förderungswürdig war. Da er Probleme mit dem Sehen hatte, organisierte ich einen Termin mit dem Integrationsfachdienst (Ifd)-Sehen und dem Vertreter der Fachstelle für schwerbehinderte Menschen im Beruf. Wer am besagten Tag nicht kam, war Arnold. Er habe einen neuen Herd bekommen... Damit war mein Beratungsbemühen erst mal stark eingeschränkt. Arnold bekam im Laufe der Jahre noch Herzprobleme und seine Fehlzeiten stiegen massiv an. Seine Führungskraft bat mich um Unterstützung, um gemeinsam eine Möglichkeit zu finden, Arnold in geeigneter Weise weiter zu beschäftigen. Also sprach ich wieder mit ihm. Meinen Vorschlag, in die Reha zu fahren und sich durchchecken zu lassen, lehnte er ab. Seine Begründung: Er sei im Alter von vier Jahren bereits in einer Reha gewesen, damals habe man seinem Stoffhasen die Ohren angeschnitten. Und vor ein paar Jahren habe seine damalige Freundin ihre Reha als ganz schrecklich erlebt. Nun beschlossen seine Führungskraft und ich uns dafür einzusetzen, dass Arnold einen Heimarbeitsplatz bekommt. Aber dass wollte er auch nicht. Da der Arbeitgeber seine Fehlzeitenquote von 30 % voraussichtlich nicht tolerieren wird, bleibt die Entwicklung spannend. |
Elke |
Eine interessante Begründung, nicht in die Reha zu fahren, bekam ich auch von meiner Kollegin Elke zu hören. Elke leidet unter Rückenbeschwerden und ist übergewichtig. Wir sprachen über das Thema Reha: Ich: „Wie wäre es denn mal mit einer Reha?“ Elke: „Das geht nicht.“ Ich: „Oh, wenn du Kinder hast, kann man diese vielleicht als Begleitkinder mitnehmen.“ Elke: „Ich habe keine Kinder.“ Ich: „Du kannst vielleicht auch deinen Partner mitnehmen. Oder er macht dort Urlaub.“ Elke: „Ich habe keinen Partner.“ Ich: „Du kannst auch deinen Hund mitnehmen.“ Elke: „Ich habe auch keinen Hund.“ Ich: „Was hält dich denn dann davon ab in die Reha zu fahren?“ Elke: „Mein Wellensittich.“ Da war ich sprachlos. |
Brigitte |
Zum damaligen Zeitpunkt war es in dem Unternehmen, in dem ich tätig bin, nur für bestimmte Personen möglich, von zu Hause zu arbeiten. Die Kolleginnen und Kollegen, die einen Heimarbeitsplatz bekamen, mussten besonders zuverlässig und selbständig sein. Diese Kriterien erfüllte meine Kollegin Brigitte und so wurde sie Heimarbeiterin.Das ging viele Jahre gut. Dann wurde sie unzuverlässiger: Ihre Anwesenheitszeiten im Unternehmen wurden immer weniger, ihre Ausreden immer abenteuerlicher. Gleichzeitig sank die Qualität ihrer Arbeitsergebnisse und die Arbeitsunfähigkeitszeiten stiegen dramatisch an. Die Unzufriedenheit auf Seiten ihrer Vorgesetzten wurde immer größer und intensivierte ihre Unzuverlässigkeit, mit der Konsequenz, dass der Verlust des Heimarbeitsplatzes drohte. Zu diesem Zeitpunkt sprach mich meine Kollegin Beate an: „Du musst etwas tun! Der Arbeitgeber möchte Brigitte den Heimarbeitsplatz wegnehmen. Aber sie braucht ihn doch, da sie schlecht hört und im Großraumbüro nicht zurechtkommt.“ Aber was sollte ich tun? Den Hinweis hatte ich nur inoffiziell bekommen. Weder Brigitte noch ihre Vorgesetzte hatten mich um Unterstützung gebeten. Daher empfahl ich Beate, Brigitte zu bitten, sich bei mir zu melden. Das dauerte allerdings mehrere Monate. Ihre Situation im Unternehmen wurde immer unbefriedigender. Erst als Brigitte eine schriftliche Information mit der Ankündigung bekam, dass ihr Heimarbeitsplatz demnächst abgebaut werde, setzte sie sich mit mir in Verbindung. Ihr Argument, dass sie zu Hause ihre beginnende Schwerhörigkeit besser kompensieren könne, weil die Umgebungsgeräusche dort geringer seien, war zwar nachvollziehbar, kam aber zu spät. Also begannen wir mit dem Antrag zur Feststellung der Schwerbehinderung und vereinbarten ein Gespräch mit der Vorgesetzten. Diese erklärte uns, dass ihr Vertrauen in Brigitte zerstört sei. Dennoch konnten wir einen Kompromiss aushandeln: Brigitte musste zunächst für eine Dauer von 6 Monaten ins Unternehmen kommen. Allerdings bekam sie hier einen besonderen Arbeitsplatz, der sehr ruhig lag. Gleichzeitig arbeiteten wir an der Hilfsmittelversorgung mit dem Integrationsfachdienst. In dieser Phase verlief die Kooperation zwischen Brigitte, ihrer Vorgesetzten und mir sehr intensiv und gut. Brigitte bekam einen Hörverstärker für ihre Arbeit und lieferte im Unternehmen gute Leistungen. Ihre Fehlzeiten reduzierten sich. Es lief alles so gut, dass Brigitte nach 6 Monaten ihren Heimarbeitsplatz wiederbekam und noch heute gute Arbeit leistet. |
Frieda |
In meinem Unternehmen gab es die unerfreuliche Situation, dass ein Bereich aufgelöst werden musste. Allerdings sah der Sozialplan vor, dass Kolleginnen und Kollegen mit einer Schwerbehinderung ein großzügiges Abfindungsangebot bekommen sollten.In dieser Phase kam meine Kollegin Frieda auf die Idee, sich ihre Schwerhörigkeit anerkennen zu lassen. Der Antrag auf Feststellung war schnell gestellt und aufgrund der klaren Sachlage schnell mit einem GdB von 60 entschieden. So verließ Frieda zwar das Unternehmen aber sie tat es mit Hörgeräten. Sie sagte mir, ohne diese betriebliche Entscheidung wäre sie nie auf die Idee gekommen, sich ihrer Schwerhörigkeit zu stellen. |
Ein Kongressteilnehmer |
Ich war auf einem Kongress für Schwerbehindertenvertretungen. Neben mir saß jemand, der Hörgeräte trug. In einem großen Kongresssaal hörten wir einen Vortrag. Mein Nachbar konnte nicht folgen, da er nichts verstand. Auf meine Frage, ob er den RogerPen kenne, ein Hilfsmittel für Menschen mit Schwerhörigkeit genau für solche Situationen, erklärte er mir, dass er einen habe. Gleichzeitig zählte er mir die Vorteile dieses Hilfsmittels auf. Auf meine Frage, wo sein RogerPen denn sei, erklärte er mir, dass er zu Hause läge. Es sei ja peinlich, ihn einzusetzen. |
Meine Erfahrungen während der Coronakrise |
Im März und April 2020 lautete das Gebot der Stunde, so viel wie möglich zu Hause zu bleiben. Für mich als Mensch mit hochgradiger Sehbehinderung ist dies eine emotionale Grenzerfahrung. Gerne wollte ich dem Aufruf der Regierung folgen und so meinen Beitrag zum Wohlergehen der Allgemeinheit und nicht zuletzt auch zum eigenen Schutz leisten. Mit einem Visus von 5 % fällt es mir jedoch schwer, den nötigen Abstand zu wahren. Auch die Wege sind für mich noch länger als üblich geworden. Denn wer möchte schon in dieser Zeit regelmäßig mit Bus und Bahn fahren? Also ist Laufen die Alternative. Mein Vorgesetzter, Hubert, hat meine kritische Lage erkannt und mir angeboten zu Hause zu arbeiten. So weit so gut. Meine Technik besteht aus einem iPad und einem iPhone – ohne Zugang zum Firmennetzwerk, aber mit Zugriff auf die letzten 20 E-Mails, meinen Kalender und meine beruflichen Kontakte. Hubert erklärte sich bereit, mein Zeitkonto zu führen und mich vorübergehend mit den Firmeninformationen aus dem Intranet zu versorgen. So konnte es bei mir losgehen. Aber für die vollständige gleichberechtigte Teilnahme am Berufsleben fehlten mir meine Laufwerke und die allgemeinen Firmeninformationen. Hier musste eine Lösung her. Hubert beauftragte also unsere IT-Abteilung mit der Aufgabe, einen Firmenlaptop mit der Hilfssoftware ZoomText für mich herzurichten. Der IT Manager erklärte mir, dass ich doch ins Büro kommen solle, da er nicht in der Lage sei, einen Laptop mit der Hilfssoftware auszustatten. Mein Angebot, dass wir doch noch Lizenzen von der im Betrieb eingesetzten Hilfssoftware hätten und keine neue anzuschaffen sei, stieß auf taube Ohren. Auch mein Hinweis, dass ZoomText kostenlos für 3 Monate herunter zu laden sei, führte zu keinem Ergebnis. Die Aussage war, das ZoomText nicht vernünftig laufen würde. Also führte ich an, dass ich einige Tipps und Kniffe kennen würde, sodass es damit für mich gut laufen könne. Es kam die Rückmeldung, dass ZoomText erst gar nicht starten würde. Also fragte ich nach der Konfiguration des Laptops und bekam als Antwort, dass man mir dies nicht mitteilen könne, da man es nicht wisse und man die Zeit, dies herauszufinden, nicht habe. Zudem gehe die Zeit, die die IT-Abteilung mit der Suche nach einer Lösung für mich verbringe, auf Kosten der allgemeinen Ausstattung von Mitarbeitern mit Heimarbeitsplätzen. Hat ein Verantwortlicher aus der IT zu entscheiden, wie hoch mein Schutz- bedürfnis ist? Dürfen Mitarbeiter der IT die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers aushebeln? Findet Inklusion dort nicht mehr statt, wo Menschen in ausführenden Abteilungen an ihre fachlichen Grenzen kommen? Muss ich als Mensch mit Behinderung in schwierigen Zeiten auf Inklusion verzichten? Hier bin ich als Mensch mit Behinderung an meinen emotionalen Grenzen angekommen. Gleichberechtigte Teilhabe in der aktuellen Krisenzeit ist für mich als hochgradig sehbehinderter Mensch wohl kaum möglich! Gut, wenn man in dieser Situation Freunde hat. |
*Der Name der Verfasserin ist der Redaktion bekannt.
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