Stets auf dem Laufenden mit dem kostenlosen Newsletter
ARBEITSSCHUTZuptodate!
Diese Fragen wurden in Urteilen des Landgerichts Flensburg sowie des Oberlandesgerichts Schleswig thematisiert.
Sachverhalt:
F betreibt ein kleines Unternehmen für Sanitär-und Heizungstechnik, Bauklempnerei und Solaranlagen. Im März 2005 installierte er mit seinem Arbeitnehmer G und dem H eine Photovoltaikanlage auf dem Dach eines Mehrfamilienhauses in Niebüll. Die Traufhöhe des Daches betrug 9,70 m bei einer Dachneigung von 35°. Das Dach war nicht eingerüstet. Für die Dacharbeiten wurde im Firmenfahrzeug ein Sicherheitsgurt mitgenommen. Wegen eines heraufziehenden Sturmes gab F die Anweisung, das verwendete Werkzeug wegzuräumen. Dabei rutschte G auf der Dachfläche aus, stürzte hinab und erlitt schwere Verletzungen. In einem Rentenbescheid wurde ihm eine Minderung der Erwerbsunfähigkeit in Höhe von 100 Prozent bescheinigt.
Die zuständige BG ist Klägerin, verlangt von F (dem Beklagten) den Ersatz von 270.000 Euro Unfallfolgekosten und beantragt auch die Feststellung, dass F der BG sämtliche weitere – zukünftige – Leistungen infolge des Arbeitsunfalls erstatten muss.
Der Beklagte F verteidigt sich mit drei Argumenten:
Urteil:
Das LG Flensburg hat H als Zeugen vernommen und den F – wegen eines Mitverschuldensanteils des G von 20 Prozent – gemäß § 110 SGB VII zur Erstattung von 216.000 Euro an die BG verurteilt und dem Feststellungsantrag entsprechend zu 80 Prozent stattgegeben. Das OLG sprach der BG dann in zweiter Instanz die gesamten 270.000 Euro zu – aber nur, weil das LG Schadensposten vergessen hatte, nicht weil es die Mitschuld des G verneinte.
Auszug aus dem Sozialgesetzbuch SGB VII – Gesetzliche Unfallversicherung:
- F ist als Unternehmer haftungsprivilegiert gemäß § 104 SGB VII.
- G hat als Versicherter durch einen Arbeitsunfall einen Personenschaden erlitten.
- F hat diesen Unfall grob fahrlässig herbeigeführt (dazu I.).
- G hat den Unfall aber mitverschuldet (dazu II.).
I. Grob fahrlässige Herbeiführung des Unfalls durch F
Fahrlässig handelt, wer die „im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt“ (§ 276 Abs. 2 BGB). Grob fahrlässig handelt, wer die Sorgfalt in besonders großem – „krassen“ – Ausmaß missachtet. So banal das klingt, so schwer ist es im konkreten Einzelfall zu prüfen. Voraussetzung für den Rückgriff der BG ist immer, dass die Pflichtverletzung (dazu 1.) objektiv schwer (dazu 2.) und subjektiv unentschuldbar (dazu 3.) ist.
1. Pflichtverletzung
Nach Ansicht des OLG Schleswig hat F gegen § 12 BGV C22 verstoßen, weil Absturzsicherungen nötig waren (dazu a.), aber fehlten (dazu b.) – und F hat auch gegen die Handlungspflicht des § 12 Abs. 3 i.V.m. § 4 BGV C22 verstoßen (dazu c.)
a. Notwendigkeit der Absturzsicherung – mehrstündige Arbeit ist sicherungspflichtig
„Der Beklagte verstieß durch die fehlende Anbringung eines Auffangschutzes und durch unterbliebene Verwendung und Anweisung einen Anseilschutz zu verwenden gegen die Vorschrift § 12 der BGV C 22. Der Arbeitsplatz des Versicherten fiel unter die Vorschrift des § 12 der BGV C 22, da die Absturzhöhe über 3,00 m lag, so dass bei den hier durchgeführten Dacharbeiten eine Absturzsicherung vorhanden sein musste. Nach der schlüssigen und nachvollziehbaren Aussage des Zeugen H befanden sich einige Werkzeuge (u.a. Wanne, Sparrenanker) auf dem Dach und es dauerten die Arbeiten auf dem Dach bereits 2,5 bis 3 Stunden an, so dass es sich jedenfalls um einen zu sichernden Arbeitsplatz nach § 12 der BGV C 22 handelte. Der durch die glaubhafte Zeugenaussage widerlegte Einwand des Beklagten, dass man sich noch in der Phase der Gefährdungsbeurteilung befunden habe, schließt eine Haftung daher nicht aus“. Außerdem war der „Einwand unerheblich, da die Vorschrift des § 12 der BGV C 22 nicht zwischen Vorarbeiten und Arbeiten differenziert. Beides findet an einem Arbeitsplatz statt und ein Ausnahmefall nach § 12 Abs. 4 BGV C 22, dessen Voraussetzungen auch schon aufgrund des Umfanges der Arbeiten nicht gegeben sind, liegt nicht vor“.
b. Fehlen der Absturzsicherung – Seile sind kein Anseilschutz
„Die vom Beklagten an der Baustelle mitgeführten Stricke stellen keinen Anseilschutz i.S.d. § 12 Abs. 3 der BGV C 22 dar und es wurde zudem nicht vom Beklagten dafür Sorge getragen, dass diese nicht ausreichenden Stricke oder der im Transporter liegende Gurt verwendet wurden. Nach der Schilderung des Zeugen H sind die vom Beklagten als Sicherungsgarnituren bezeichneten Seile einfache Stricke gewesen ohne weitere Vorkehrungen zum Schutze der Person gegen Einschnürungen oder zur Befestigung am Körper. Nach der BG-Regel 198 sind Sicherungen mit einem Geschirr und einem Gurt versehen, so dass eine Sicherung i.S.d. Vorschrift des § 12 Abs. 3 der BGV C 22 nicht gegeben war. Von einem Anseilschutz kann bei Verwendung einfacher Seile nicht gesprochen werden. Die Verwendung von einfachen Seilen erhöht sogar das Risiko, zu stolpern, sich zu verfangen oder sich zu verletzen“. Außerdem war selbst im Firmenfahrzeug nur ein Sicherheitsgurt vorhanden: „Eine zweite Garnitur war nach der Aussage des Zeugen H nicht vorhanden, so dass ein ausreichender Anseilschutz auch aus diesem Grunde nicht am Arbeitsplatz vorhanden war und damit auch nicht verwendet wurde“. Schließlich stellt das Gericht noch fest: „Die spätere Errichtung eines Fangzauns zur Fortsetzung der Arbeiten an der Baustelle belegt zudem, dass eine Absicherung nach § 12 Abs. 2 der BGV C 22 möglich gewesen wäre“.
c. Fehlende Anweisung und unzureichende Aufsicht
„Zudem verstieß das Verhalten des Beklagten gegen die Handlungsverpflichtung aus § 12 Abs. 3 i.V.m. § 4 der BGV C 226. Der Beklagten trug keine Sorge dafür, dass ein Anseilschutz – der ohnehin gegenüber einem Auffangschutz nur subsidiär zulässig ist – verwendet wurde. Der Beklagte war mit dem Zeugen H und dem Geschädigten G gemeinsam auf dem Dach und nahm die Arbeiten auf. Nach der Aussage des Zeugen H wurde weder ein Seil zum Arbeiten noch der im Transporter befindliche Gurt eingesetzt. Der Beklagte hat damit weder die Verwendung des nicht geeigneten Seils angewiesen noch sich für die Verwendung des Gurtes eingesetzt“.
2. Objektive Schwere der Pflichtverletzung
Grobe Fahrlässigkeit erfordert erstens, dass die Pflichtverletzung objektiv schwer ist: „Bei einem Verstoß gegen eine Unfallverhütungsvorschrift liegt eine schwere Verletzung der Sorgfaltspflicht regelmäßig vor, wenn diese mit eindeutigen Sicherheitsanweisungen vor tödlichen Gefahren schützen soll“. Diese Begründung fällt dem LG Flensburg nicht schwer: § 12 BGV C22 „schützt die Arbeitnehmer bei Dacharbeiten, zumindest bei einer Traufenhöhe von mehr als 9,00 m, gegen tödliche Gefahren“.
Weiterlesen?
Sind Sie noch nicht Newsletter-Abonnent, so können Sie sich hier für unseren kostenfreien Newsletter ARBEITSSCHUTZuptodate registrieren – und erhalten vollen Zugriff auf diesen Beitrag.
Als registrierter Nutzer von ARBEITSSCHUTZdigital.de haben Sie nach Eingabe Ihrer Nutzerdaten vollen Zugriff auf diesen Beitrag und alle Inhalte von ARBEITSSCHUTZdigital.de.
Um unseren Webauftritt für Sie und uns erfolgreicher zu gestalten und
Ihnen ein optimales Webseitenerlebnis zu bieten, verwenden wir Cookies.
Das sind zum einen notwendige für den technischen Betrieb. Zum
anderen Cookies zur komfortableren Benutzerführung, zur verbesserten
Ansprache unserer Besucherinnen und Besucher oder für anonymisierte
statistische Auswertungen. Um alle Funktionalitäten dieser Seite gut
nutzen zu können, ist Ihr Einverständnis gefragt.
Weitere Informationen finden Sie in unserer Datenschutzerklärung.
Notwendige | Komfort | Statistik
Bitte wählen Sie aus folgenden Optionen: