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Unfallversicherung und Recht  
17.11.2021

Der Arbeitsunfall des Leiharbeiters am unsicheren Abfallförderband

Thomas Wilrich
Arbeitsunfälle an manipulierten Maschinen (Foto: thisisengineering-raeng/Unsplash)
In diesem Praxisfall erläutert Thomas Wilrich das Urteil gegen einen Betriebsleiter wegen Fahrlässigkeit durch eine fehlende Schutzeinrichtung.

Lehren aus den Urteilen und zu Rechtsfolgen nach Arbeitsunfällen an unsicheren Maschinen

1. Es gibt zahlreiche Unfälle und Urteile bei fehlender trennender Schutzeinrichtung.

2. Die BetrSichV wird in Gerichtsurteilen selten zur Begründung von Arbeitsschutzverstößen herangezogen – hier aber sowohl vom Straf- als auch vom Zivilrecht.

3. Bei Personenschäden kann es – wie hier – zu Strafverfahren und zivilrechtlichen Schadensersatz- bzw. Rückgriffsforderungen der Unfallversicherungsträger kommen.

4. Die Arbeitsschutzverantwortung von Führungskräften ist so klar, dass Gerichte sie – wie hier – nur beiläufig behaupten und nicht begründen; nur in der Unternehmenspraxis ist das nicht allen bekannt.

5. Vorgesetzte und Bereichsverantwortliche müssen die „die erforderlichen Maßnahmen treffen“ bzw. „die Arbeiten so lange zu unterbinden, bis für eine vorschriftsmäßige Schutzeinrichtung gesorgt“ ist (Stopp-Prinzip).

6. Das Verantwortungsprinzip wird aber nicht immer konsequent zu Ende angewendet: Im Fall wird nur der Betriebs- und Werksleiter „angegriffen“, nicht aber der Abteilungsleiter, der für die Unterweisung zuständig war und daher die Maschinen kennen muss, aber behauptete, er wisse nichts von der fehlenden Schutzeinrichtung.

7. Das Verschulden in Form der Fahrlässigkeit wird in Strafurteilen – wie hier – manchmal nur ansatzweise begründet.

8. In Strafverfahren reicht einfache Fahrlässigkeit. In Regressverfahren kann – wie hier – grobe Fahrlässigkeit Anspruchsvoraussetzung sein.

9. Gerichte nehmen bei Verstoß gegen Rechtsvorschriften des technischen Arbeitsschutzes – „elementare Sicherheitspflichten“ – häufig grobe Fahrlässigkeit an.

10. Es kann schuld- und straferhöhend sein, wenn – wie hier – trotz Unsicherheit aus wirtschaftlichen Gründen weiterbetrieben wird.

11. Beim Rückgriff gemäß § 110 SGB VII ist ein Mitverschulden des geschädigten Beschäftigten zu berücksichtigen, wenn der Unfallversicherungsträger bezifferte Sozialversicherungsaufwendungen verlangt – das übersieht das LG Baden Baden.

12. § 111 SGB VII ermöglicht einen Rückgriff gegen das Unternehmen nur bei grob fahrlässiger Pflichtverletzung eines Organs, also eines Mitglieds der Unternehmensleitung, nicht eines Betriebs- oder Werksleiters – das übersieht das LG Baden-Baden.

Sachverhalt

„Ein Unternehmen montierte das Steigförderband einer Abfallentsorgungsanlage so nah an der Wand, dass der Kettenschutz zwischen dem Motor, welcher das Förderband betrieb und das Ritzel, welches für die Kraftübertragung auf das Förderband verantwortlich war, bewusst weggelassen wurde.“ Da die Maschine „jedoch nicht erwartungsgemäß arbeitete“ und „immer wieder Abfälle herunterfielen oder sich stauten“, setzte das Unternehmen Leiharbeiter ein, die „im Drei-Schicht-Betrieb die herunterfallenden Kartonabfälle manuell auf das Steigförderband beförderten“.

Einer der drei Leiharbeitnehmer (L) „wurde vor Arbeitsbeginn vom Abteilungsleiter (A) in seine Arbeit eingewiesen. Ein Hinweis auf den fehlenden Kettenschutz sowie die damit verbundene Gefahrenquelle erteilte A nicht. Zur Erfüllung seiner Aufgabe stellte das Unternehmen dem L ein paar Arbeitshandschuhe und eine Forke (Mistgabel mit drei Zinken) zur Verfügung.

Aufgrund der sich immer wieder verkeilenden Kartonabfälle war es arbeitstechnisch für L unumgänglich, immer wieder mit Händen, zum Teilen auch mit den beschuhten Füßen, die sich stauenden, teilweise sperrigen Stanzabfälle auf dem Steigförderband weiterzubefördern“. Am 13. August 2007 „griff L versehentlich in die völlig frei laufende, nicht mit dem erforderlichen Kettenschutz versehene Kette des Antriebs des Förderbandes. Hierbei wurde der Handschuh mitgerissen und anschließend von der rechten Hand alle Finger mit Ausnahme des Daumens komplett abgetrennt.“

Entscheidungen

A. Strafurteil

Das Amtsgericht Gernsbach erließ am 29. Mai 2008 gegen den Betriebs- und Werksleiter (B) einen Strafbefehl wegen fahrlässiger Körperverletzung in Höhe von 60 Tagessätzen zu je 150 Euro = 9.000 Euro. Auf seinen Einspruch sagte das Gericht, A „hat durch Fahrlässigkeit einen anderen körperlich misshandelt und an der Gesundheit geschädigt“ und verurteilte ihn 18. November 2008 wegen fahrlässiger Körperverletzung gemäß § 229 StGB zu einer Geldstrafe in Höhe von 70 Tagessätzen zu je 70 Euro = 4.900 Euro. Damit musste B zwar weniger zahlen, aber das Ausmaß der Schuld richtet sich nach den Tagessätzen; die Tagessätze bestimmt sich verschuldensunabhängig nach der Höhe des (um viele Abschläge wie Kredit- und Unterhaltsverpflichten bereinigten) Einkommens.

Eine Bestrafung wegen Fahrlässigkeit setzt voraus:
·         eine Pflichtverletzung = Rechtswidrigkeit (dazu I.),
·         eines Verantwortlichen (dazu II.),
·         mit Verschulden = Fahrlässigkeit (dazu III.) und die

I. Pflichtverletzung

„Bei der vom Angeklagten getroffenen Entscheidung, trotz der an den Abfallentsorgungsbändern aufgetretenen Komplikationen die Produktion auch ohne Sicherheitsabdeckung am Kettenlauf weiterzuführen, hat der Angeklagte gegen Unfallverhütungsvorschriften verstoßen. Er wäre nach der Betriebssicherheitsverordnung verpflichtet gewesen, die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, damit den Beschäftigten nur Arbeitsmittel bereitgestellt werden, die für die am Arbeitsplatz gegebenen Bedingungen geeignet sind und bei deren bestimmungsgemäßer Benutzung Sicherheit und Gesundheitsschutz gewährleistet ist“.[1]

Es ist nicht klar, ob das Amtsgericht dem Leiter ein pflichtwidriges Tun (die Entscheidung des Maschinenbetriebs) oder ein pflichtwidriges Unterlassen vorwirft (Nichtergreifen der erforderlichen Schutzmaßnahmen). Wenn der Schwerpunkt des Vorwurfs das Unterlassen ist, hätte seine Verantwortung mit § 13 StGB begründet werden müssen – erforderlich ist dann eine sog. Garantenstellung:

II. Verantwortlichkeit

Die Verantwortung des Angeklagten stellte das LG eher beiläufig und ohne Begründung fest: „Bei pflichtgemäßer Erfüllung hätte der Angeklagte als Werks- und Betriebsleiter den Weiterbetrieb ohne die Sicherungen am Kettenantrieb verhindern und so auch den Unfall vermeiden müssen“.

Der Angeklagte indes sah „für sich persönlich keine eigene Verantwortung“. Dann hätte man ihm durchaus die Hintergründe erklären können: Seine Arbeitsschutzverantwortung folgt automatisch aus seiner Position – eben „als Werks- und Betriebsleiter“ – auch ohne schriftliche Pflichtendelegation[2]. Diese Arbeitsschutzpflichtigkeit ist öffentlich-rechtlich auch in § 13 Abs. 1 Nr. 4 ArbSchG festgelegt.

III. Verschulden

Zur Fahrlässigkeit des Betriebs- und Werksleiters sagte das Gericht ausdrücklich nichts. Es heißt nur, seine Pflichten „hätte er erkennen können und müssen“. Darin versteckt ist die Behauptung – nicht aber die Begründung – der beiden Voraussetzungen eines der fahrlässigen Fehlverhaltens: Erkennbarkeit und Vermeidbarkeit des Unfalls bzw. Schadens. Im Gegensatz zum Rückgriffsanspruch der Unfallversicherungsträger gemäß § 110 SGB VII (siehe unten B.) ist im Strafrecht keine grobe Fahrlässigkeit erforderlich – es reicht einfache Fahrlässigkeit.

III. Strafzumessung

Zugunsten des Betriebs- und Werksleiters wertete das Gericht

·      dass er „die Rahmenumstände eingeräumt hat“, auch wenn er „für sich persönlich keine eigene Verantwortung“ sah,

·      dass er nicht vorbestraft ist und bisher ein „tadelloses Leben geführt hat“,

·      dass er „durch die Verhandlung erkennbar beeindruckt ist“.

Zu Lasten des Angeklagten sprachen

·      die „massiven Folgen“ und

·      das „Maß des Sorgfaltsverstoßes: Wenn schon unter den fragwürdigen, provisorischen Bedingungen überhaupt produziert werden sollte, hätte man die dortigen, ohne Vorbildung die Arbeit verrichtenden Zeitarbeiter zumindest über die Gefahren instruieren müssen, was, neben den sonstigen Fahrlässigkeitsverstößen, gleichfalls unterblieben war“.

Im Urteil ist noch berichtet, der Angeklagte habe gesagt, die „Sicherheitsbeauftragten seiner Firma seien die Herren X und Y“. Das sagt man nur, wenn man die Hauptverantwortung oder zumindest eine wesentliche Mitverantwortung bei Ihnen sieht. Der Verweis auf Sicherheitsbeauftragte als „Schuldige“ ist eine sehr häufige Verteidigung – hat aber nur in absoluten Ausnahmefällen einen realen Hintergrund[3].

B. Klage der Berufsgenossenschaft

Die Berufsgenossenschaft verlangte ihre unfallbedingten Aufwendungen (im Zeitpunkt der Klageerhebung 50.000 Euro) vom Unternehmen (U) und vom Betriebs- und Werkleiter (B). Das Landgericht Baden-Baden verurteilte beide[4].

Rechtsgrundlage des Anspruchs der BG ist gegen den Abteilungsleiter § 110 SGB VII und gegen das Unternehmen § 111 SGB VII. Der Arbeitsunfall des gemäß § 2 Nr. 1 SGB VII als Beschäftigter unfallversicherten L ist ein Versicherungsfall und die Haftung von B und U gegenüber L ist gemäß §§ 104 bzw. 105 SGB VII beschränkt. Die entscheidende Frage ist, ob B und U als Verantwortliche den Unfall grob fahrlässig herbeigeführt haben.

I. Verantwortlichkeit des Betriebs- und Werksleiters

Wie im Strafverfahren wird die Arbeitsschutzverantwortung des B nur angedeutet: „In seiner Eigenschaft als Werkleiter“ – so das LG – „hätte es dem Beklagten oblegen, die Arbeiten so lange zu unterbinden, bis für eine vorschriftsmäßige Schutzeinrichtung gesorgt worden wäre“.

II. Grobe Fahrlässigkeit des Abteilungsleiters

Der Abteilungsleiter hat – so das LG – „den Arbeitsunfall des geschädigten L grob fahrlässig herbeigeführt“. Fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt (§ 276 BGB). Die Prüfung der groben Fahrlässigkeit erfolgt zweistufig. Sie „setzt einen objektiv schweren und subjektiv nicht entschuldbaren Verstoß gegen die Anforderungen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt voraus“.

1. Objektive schwere Pflichtverletzung

„Die Sorgfalt muss in ungewöhnlich hohem Maße verletzt worden und es muss dasjenige unbeachtet geblieben sein, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen. Bei der Bewertung des objektiven Schweregrades der Pflichtwidrigkeit kann dem Umstand, dass gegen eine Unfallverhütungsvorschrift verstoßen worden ist, die elementare Sicherungspflichten zum Inhalt hat, ein erhebliches Gewicht beigemessen werden.“

Das LG sagte dann schlicht: „Zu diesen Bestimmungen zählt die Betriebssicherheitsverordnung“. Das Gericht stellt auf § 7 der alten BetrSichV ab. Das entspricht heute § 5 Abs. 3 BetrSichV. Besser wäre die Heranziehung des konkreteren § 9 BetrSichV (siehe die Vorschriften im Kästchen[5]):

„Diese Sicherheitsbestimmung, die den Schutz von Leib und Leben der eingesetzten Arbeiter dient und damit elementare Sicherungspflichten zum Inhalt hat, hat der Beklagte missachtet. Denn weder das Förderband noch das Steigband waren mit einer Sicherheitseinrichtung versehen. Dies, obwohl eine derartige Sicherheitseinrichtung unbedingt erforderlich gewesen wäre, und somit die Gefahr bestand, dass ein Arbeiter, wie dann tatsächlich geschehen, bei Entfernung von Kartonabfällen versehentlich von der Antriebskette erfasst und hierbei schwer, wenn nicht gar tödlich verletzt wird. Der Verstoß des B ist vorliegend auch deshalb besonders schwerwiegend, da nicht nur die vorgegebene Schutzeinrichtung, sondern auch anderweitige Schutzeinrichtungen, zum Beispiel ein Notfallstopp nicht vorhanden waren.“

2. Subjektive Unentschuldbarkeit

Zunächst behauptete das LG, die Sicherheitsbestimmungen „sind dem Beklagten bekannt“ und setzte hinzu: „Diese objektiven Pflichtverstöße haben ein derart großes Gewicht, dass sie bereits deshalb den Schluss auf ein beträchtliches Verschulden des Beklagten nahelegen.“

Zwei Gesichtspunkte hob das Gericht besonders hervor:

·      Erstens „kommt hinzu, dass der Beklagte auch nicht durch konkrete Anweisungen sichergestellt hat, dass der L auf den Gefahrenbereich hingewiesen wurde. Belegt wird dies durch die Aussage des Abteilungsleiters. Dieser Zeuge, der für die Einweisung des zuständig war, hat nicht nur ausgesagt, dass er dem L nicht gesagt habe, dass er die Grube nicht betreten darf, sondern dass er selbst nicht wusste, dass die Antriebskette nicht mit dem erforderlichen Kettenschutz ausgestattet war. Dies belegt, dass der Abteilungsleiter selbst nicht ordnungsgemäß eingewiesen worden war, obwohl der Beklagte von dem fehlenden Kettenschutz und der damit verbundenen erheblichen Gefahr für die Arbeiter, die im dortigen Bereich eingesetzt wurden, wusste.“

·      Zweitens „kommt Schuld erhöhend hinzu, dass der Beklagte die Produktion mittels des noch nicht abgenommenen und freigegebenen Bandes nur hat laufen lassen, damit die Produktions- und Lieferpläne des Unternehmens eingehalten werden können. Dies zeigt, dass der Beklagte den wirtschaftlichen Interessen unter Hintanstellung des Sicherungsinteresses ‚seiner‘ Arbeiter Vorrang eingeräumt hat.“

Der Betriebs- und Werksleiter hatte zwei Verteidigungsargumente:

·      Er verteidigte sich, dass er „nicht habe damit gerechnet werden können, dass L in die Grube steigt“. Aber das LG kontert, eine Zeuge habe gesagt, dass L „dahingehend in seine Tätigkeit eingewiesen, das er überall die Kartonreste habe wegmachen sollen. Da bekannt war, dass auch in diesem Bereich Kartonabfälle anfielen, hätte der Beklagte somit dafür Sorge tragen müssen, dass L unmissverständlich über die mit dem Betreten der ‚Grube‘ bestehenden Gefahrenlage aufgeklärt wird. Insbesondere der Hinweis, dass er bei Problemen in die Kleberei kommen solle, stellt keinen ausreichenden Hinweis auf die bestehende Gefahrenlage dar.“

·      Er argumentierte auch, er sei „davon ausgegangen, dass der Abteilungsleiter den L auch dahingehend eingewiesen habe, dass es dieser zu unterlassen habe, unter bzw. hinter das Steigband zu gehen. Denn dieser Vortrag könnte den Beklagten allenfalls dann entlasten, wenn der Abteilungsleiter zuvor entsprechend instruiert worden wäre.“ Aber dieser sagte, „er habe nicht gewusst, dass der Kettenschutz fehlt“.

Das LG fasste zusammen: „Eine Gesamtwürdigung der vorgenannten Umstände führt dazu, dass dem Beklagten ein grob fahrlässiges Verhalten anzulasten ist.“

III. Anspruch gegen das Unternehmen gemäß § 111 SGB VII

Die – nicht begründete – Annahme des LG, das Unternehmen hafte gemäß § 111 SGB VII, ist unzutreffend bzw. jedenfalls unvollständig begründet, denn „die Haftung der juristischen Personen bzw. Personengesellschaften des Handelsrechts setzt voraus, dass deren Organmitglieder den Versicherungsfall grob fahrlässig oder vorsätzlich in Ausführung ihnen zustehender Verrichtungen herbeigeführt haben“[6]. Ein Betriebs- und Werkleiter ist zwar gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 4 ArbSchG arbeitsschutzpflichtig, aber nicht Teil der Unternehmensleitung und kein Organ des Unternehmens. „Nach dem Wortlaut der Bestimmung muss der Unternehmer für ein Handeln seines Vertreters lediglich dann einstehen, wenn es sich um den gesetzlichen Vertreter handelt; eine Haftung für Handlungen eines rechtsgeschäftlich bestellten Vertreters kommt nach § 111 § SGB VII demnach nicht in Betracht“[7].

IV. Mitverschulden des L

Das LG will den „Anspruch nicht wegen Mitverschuldens des geschädigten L nach § 254 BGB ermäßigen. Denn da es sich bei § 110 SGB VII um einen originären Anspruch handelt, ist grundsätzlich der Mitverschuldenseinwand des Geschädigten ausgeschlossen, es sei denn, dass dieses mitwirkende Verschulden so groß wäre, dass dadurch der ursächliche Zusammenhang zwischen dem Unfall und dem Verschulden der Beklagten unterbrochen würde. Dem ist vorliegend jedoch nicht so. Denn bei der Anbringung der erforderlichen Sicherheitsvorrichtungen und/oder bei richtiger Aufklärung vor den Gefahren wäre es zu dem Unfall mit Sicherheit nicht gekommen.“

Das ist unzutreffend: „Bei der Ermittlung der Höhe des fiktiven Schadensersatzanspruchs ist auch ein Mitverschulden des Geschädigten (§ BGB § 254 BGB) zu berücksichtigen.“[8] Der BGH fasst zusammen[9]: „Ein Mitverschulden des Versicherten wirkt sich – als einer unter mehreren Gesichtspunkten – unmittelbar nur auf den fiktiven Schadensersatzanspruch aus und hat für den Aufwendungsersatzanspruch wie andere, den fiktiven Schadensersatzanspruch betreffende Umstände allein mittelbare, auf die Höhe des Anspruchs beschränkte Bedeutung.“ Daher ist „die auf den fiktiven Schadensersatzanspruch bezogene Mitverschuldensquote nicht in den Tenor des Urteils aufzunehmen ist, mit dem die Verpflichtung des Schädigers festgestellt wird, dem Unfallversicherungsträger nach § 110 Absatz 1 Satz 1 SGB VII weitere Aufwendungen zu ersetzen“. Aber vorliegend ist auch ein konkreter Geldbetrag eingeklagt worden. Bei ihm ist ein etwaiges Mitverschulden im Urteil selbst zu berücksichtigen.


[1] So lautete der alte § 4 BetrSichV.
[2] Ausführlich Wilrich, Arbeitsschutz-Strafrecht – Haftung für fahrlässige Arbeitsunfälle: Sicherheitsverantwortung, Sorgfaltspflichten und Schuld – mit 33 Gerichtsurteilen (2020).
[3] Ausführlich und mit zahlreichen Beispielen aus der Rechtsprechung Wilrich, Arbeitsschutzverantwortung für Sicherheitsbeauftragte – Bestellung, Rechtsstellung, Pflichten und Haftung als Vertrauenspersonen und Beschäftigte – Grundwissen Arbeitssicherheit, Führungspflichten und Unternehmensorganisation (2021).
[4] LG Baden-Baden, Urteil v. 03.11.2009 (Az. 2 O 179/09).
[5] Ausführlich Wilrich, Praxisleitfaden BetrSichV, 2. Aufl. 2020.
[6] Von Koppenfels-Spies, in: Knickrehm/Kreikebohm/Waltermann, Kommentar zum Sozialrecht, 6. Aufl. 2019, § 111 SGB VII Rn. 2.
[7] Stelljes, in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching, Beck’scher Online-Kommentar Sozialrecht, 60. Edition 01.03.2021, § 111 Rn. 5.
[8] Stelljes, in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching, Beck’scher Online-Kommentar Sozialrecht, 60. Edition 01.03.2021, § 110 Rn. 21 und 30.
[9] BGH, Beschluss v. 24.01.2017 (Az. VI ZR 578/15).



Rechtsanwalt Prof. Dr. Thomas Wilrich ist tätig rund um die Themen Produktsicherheit, Produkthaftung und Arbeitsschutz einschließlich Betriebsorganisation, Führungskräftehaftung, Vertragsgestaltung und Strafverteidigung. Er ist an der Hochschule München zuständig für Wirtschafts-, Arbeits-, Technik- und Unternehmensorganisationsrecht und Autor von Fachbüchern: Sicherheitsverantwortung (Erich Schmidt Verlag), Arbeitsschutz-Strafrecht (Erich Schmidt Verlag), Produktsicherheitsgesetz (ProdSG), Betriebssicherheitsverordnung (BetrSichV), Rechtliche Bedeutung technischer Normen.

 


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