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Möglichkeiten ergonomischer Arbeitsgestaltung werden in der Pflege und im Gesundheitswesen aus verschiedenen Gründen bislang kaum systematisch genutzt. Ein übergreifender Dialog zwischen Pflege, Gesundheitseinrichtungen und Arbeits- und Gesundheitsschutz (AGS) trägt dazu bei, dass Pflegende und Einrichtungen die Chancen erkennen, die sich aus einer systematischen Senkung von Belastungen durch Ergonomie ergeben können. Dafür ist eine unternehmensspezifische Strategie auf Basis eines Präventionskonzepts erforderlich.
Offensive Gesund Pflegen
Handlungsstrategien, Konzepte, Schlüsselelemente und Beispiele für Anknüpfungspunkte bei der Umsetzung guter Arbeitsbedingungen in der Pflege werden im Kontext der Netzwerkarbeit der Offensive Gesund Pflegen entwickelt, vorgestellt und verbessert. Für eine systematische Gestaltung der ergonomischen Arbeitsbedingungen ist es selten zu spät. Diese kann helfen, Beschwerden zu verringern bzw. zu beseitigen sowie eine weitere Verschärfung der Personalsituation durch Anstieg von Fehlzeiten- oder Präsentismusraten günstig zu beeinflussen. Somit trägt sie dazu bei, Pflegende im Beruf zu halten sowie ihre Lebensqualität zu steigern und ihre Beschäftigungsfähigkeit zu sichern – die Attraktivität des Arbeitsplatzes wird damit verbessert. Allerdings müssen zur finanziellen Absicherung derartiger Maßnahmen Spielräume geschaffen und Nachteile gegenüber Einrichtungen in der Privatwirtschaft abgebaut werden.
Bedeutung von Ergonomie für Gesundheitseinrichtungen und Pflegeberufe
Ergonomie hat sich bisher – trotz einiger Verbesserungen in den letzten Jahren – weder im umfassenden Sinn als Bestandteil der Berufs- und Unternehmenskultur in Gesundheitseinrichtungen gut etabliert, noch im engeren Sinn körpergerechter ergonomischer Arbeitsgestaltung
stärker ausgeprägt und ist in den Arbeitsfeldern aller Berufsgruppen (z. B. auch im Servicebereich/Materialtransport) nicht ausreichend verankert. Das führt dazu, dass in Gesundheitseinrichtungen vielerorts mit vollem Körpereinsatz gearbeitet werden muss. Für die Pflegearbeit ist dabei von besonderer Bedeutung, dass eine Vielzahl unterschiedlicher statischer und dynamischer, teilweise hoher, physischer Beanspruchungen zusammenkommen können, die in einer Pressemitteilung der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) mit dem einprägsamen Satz „Pflegekräfte schleppen mehr als Bauarbeiter“ zusammengefasst wurden.
Studienergebnisse weisen zunehmend auf den großen Bedarf zur Senkung physischer und psychischer Belastungen hin. Deren Wechselwirkungen können sich im Pflegealltag ungünstig verstärken und sich somit auf die Entstehung von Rückenproblemen auswirken – was von Pflegenden auch deutlich so wahrgenommen wird. Besonders beim Patientenhandling entstehen dabei sehr spezielle Belastungskonstellationen, die bisher zu wenig Beachtung fanden und gezielt bearbeitet werden sollten.
Demgegenüber ist festzustellen, dass trotz einiger Verbesserungen allein die Etablierung eines Arbeitsschutzmanagements vielerorts weiterhin mit Schwierigkeiten verbunden ist , da – auch unter finanziellen Aspekten – die Belange von Patienten, Bewohnern und Pflegebedürftigen im Vordergrund stehen. Eine körpergerechte ergonomische Gestaltung der Arbeitsbedingungen gerät dabei schnell aus dem Auge. Das ist, wie Berater und Arbeitsschützer beobachten, oftmals selbst dann noch der Fall, wenn sich durch Zunahme arbeitsbedingter Erkrankungen die Lage weiter zuspitzt. Infolgedessen zeigt sich, dass die Überlastung schon bei jungen Pflegekräften und Auszubildenden akute Gesundheitsprobleme (häufige und gravierende Rückenbeschwerden) hervorruft.
Auch nehmen aufgrund chronischer Überlastung chronifizierende Rückenschmerzen und/oder bandscheibenbedingte Rückenerkrankungen wegen des ansteigenden und bereits relativ hohen Durchschnittsalters in Pflegeberufen zu, so dass der dringende Handlungsbedarf inzwischen auch im Pflegemanagement gesehen wird. Denn bei knappen Personalressourcen sind zwar leicht rückläufige Krankenstände im Bereich Muskel- und Skeletterkrankungen (MSE Fehlzeitenanteil 23,1 %, AOK 2011) zu konstatieren, jedoch ist eine zeitgleiche Zunahme von Präsentismus (krank zur Arbeit gehen) zu beobachten. Präsentismus ist generell meist mit noch gravierenderen Leistungseinbußen verbunden und dürfte demzufolge die ohnehin bereits kritische Situation der Patientenversorgung weiter verschärfen. Um dem entgegen zu wirken, sind ergonomische Aktivitäten zwar weit verbreitet, beschränken sich jedoch bisher meist auf Einzelmaßnahmen und laufen Gefahr, durch das Fehlen einer systematischen Gesamtstrategie zu verpuffen.
Ergonomische Defizite in der Pflegearbeit
Ergonomische Defizite finden sich mit unterschiedlichen Akzenten in allen Pflegesettings und Versorgungbereichen und bieten damit vielfältige Anknüpfungspunkte zur Senkung von Belastungen auf allen Ebenen des AGS. Diese sind nicht unabhängig von einer hiermit verbundenen Organisationsentwicklung zu sehen und nur schrittweise im Rahmen einer unternehmensspezifischen Strategie umsetzbar.
Die Beispiele (s. PDF) zeigen, dass sich Defizite nicht allein auf patientennahe Tätigkeiten beschränken, die bisher meist im Vordergrund von AGS-Aktivitäten standen. Auch in patientenfernen Arbeitsbereichen haben sich ergonomische Arbeitsplatzgestaltung und ein entsprechender Arbeitsstil weit seltener etabliert als in anderen Berufen und Branchen. Der Belastungsmix in der Pflege macht es daher erforderlich, auch die patientenfernen Arbeitsbereiche systematisch in Gefährdungsbeurteilungen einzubeziehen, um eine Kumulation von Belastungen zu vermeiden bzw. zu verringern.
Verbesserung der Beziehung zwischen betrieblichem Arbeitsschutz und Pflege
Führungskräften außerhalb der Pflege ist oft nicht bewusst, dass es in der Pflege keine ergonomische Tradition gibt, wie z. B. in gewerblichen und handwerklichen Berufen. Während sich dort ein elementares ergonomisches Verständnis mit Werkzeugnutzung (Einsatz von Rampen, Tragegurten, Seilzügen etc.) und ergonomischen Arbeitstechniken (rollen, kanten, abstützen von Lasten etc.) eher informell – aber auch als Standard in der Berufsausbildung – niedergeschlagen hat, fehlt eine vergleichbare Verankerung in der Alltagspraxis der Pflege und damit auch in der praktischen Pflegeausbildung. Ein solches Verständnis entspringt zwar nicht immer präventiven Überlegungen, sondern hat sich entwickelt, um Arbeit leichter und praktikabler zu machen sowie gleichzeitig das Arbeitsergebnis zu verbessern, es trägt jedoch zur Prävention bei und bietet dem AGS Anknüpfungspunkte. Dennoch bestehen auch in der Pflege einzelne Anknüpfungspunkte in diesem Sinn, auf die zurückgegriffen werden kann. Derartiges Erfahrungswissen von Pflegekräften zu nutzen, ist der Ansatz des im Auftrag der BAuA positiv evaluierten Präventionsprogramms Rückengerechter Patiententransfer in der Kranken- und Altenpflege (RPT/RÜPT). Die Erkenntnisse der Evaluationen haben zwischenzeitlich auch andere Konzepte positiv beeinflusst.
Verhältnis Pflege - AGS
Das Verhältnis von Pflegenden zum AGS ist oftmals schwierig, da die Prävention von Rückenproblemen hier vor einem anderen Hintergrund gesehen wird. Vor allem das Patientenhandling ist beeinflusst durch die Physiotherapie – und damit einerseits von therapeutischen Gesichtspunkten (eher bezogen auf die Therapie des Patienten, z. B. Bobath-Konzept) – und andererseits durch die Rückenschule. Meist werden auch in Bewegungskonzepten der Pflege nur verhaltensbezogene Aspekte einbezogen, die einen präventiven Beitrag leisten können. Das gilt insbesondere für das Kinästhetik-Konzept. Derartige Ansätze tragen vor allem unter fachlichen Gesichtspunkten zur Entwicklung von Qualitätsstandards bei, stellen aber unter ergonomischen Gesichtspunkten keine ausreichende Prävention sicher. Als Qualitätsstandards sind sie zudem bisher sowohl in der Ausbildung als auch in der Berufspraxis noch nicht durch einen angemessenen Schulungsumfang abgesichert, so dass sie meist auch keine präventive Wirkung entfalten können. In jedem Fall sind präventive Effekte auf Basis dieser Konzepte nicht in jeder Situation und nicht für alle Pflegekräfte ausreichend, worauf Untersuchungen der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW) hinweisen. Durch die Rückenschule kann meist nur das Bewegungsverhalten in der Freizeit günstig beeinflusst werden. Für das Patientenhandling bietet sie nur wenig Anknüpfungspunkte für Problemlösungen. Ergonomische Arbeitsgestaltung und entsprechende Schulungsmaßnahmen sind also nicht ersetzbar und sollten auch nicht in Konkurrenz zu Bewegungskonzepten der Pflege gesehen werden.
Aufgabe des AGS ist es vielmehr, den Blick von Führungskräften und Pflegenden darauf zu richten, in welchen Situationen solche Konzepte für die Prävention nicht greifen können. Bei der Wahrnehmung dieser Aufgabe wirkt sich nachteilig aus, dass die Beziehung zwischen AGS und beruflicher Pflege vielerorts verbesserungsbedürftig ist. AGS wird in der Pflege überwiegend mit Verhaltensvorschriften in Verbindung gebracht und oftmals als zusätzliche Belastung wahrgenommen. Aufgrund des geringen Stellenwerts des AGS haben Arbeitsschutzakteure häufig das Problem, über keine betriebliche Arbeitsgrundlage für die Entwicklung von geeigneten Präventionsstrategien zu verfügen. Damit liegt eine Art Teufelskreis vor, der manchmal durch das Hinzuziehen von externer Beratung aufgebrochen werden kann, insgesamt aber durch einen übergreifenden grundsätzlichen Dialog gelöst werden muss. Dieser wurde mit dem Arbeitsprogramm „Sicherheit und Gesundheitsschutz in der Pflege“ der Gemeinsamen Deutschen Arbeitsschutzstrategie (GDA) begonnen und hat zu ersten positiven Veränderungen geführt.
Netzwerkarbeit zur Entwicklung erfolgreicher Handlungsstrategien
Für die weitere Förderung dieses Dialogs hilft Netzwerkarbeit auf unterschiedlichen Ebenen, zunächst ein gemeinsames Problembewusstsein und dann gemeinsame Handlungsstrategien zu entwickeln. Ein berufs- und institutionenübergreifender Dialog für gesunde und motivierende Arbeitsbedingungen in der Pflege ist auch das erklärte Ziel des Netzwerks Offensive Gesund Pflegen in der Initiative Neue Qualität der Arbeit (www.inqa-pfl ege.de). Die Initiative bietet Handlungsempfehlungen, Konzepte und Beispiele guter Praxis, die zeigen, wie die Qualität der Arbeit erfolgreich gestaltet werden kann, so dass sie Einrichtungen und Beschäftigten zugleich nutzt. Hierzu gehören auch verschiedene Handlungshilfen und Instrumente, wie etwa der INQA-Kurzcheck „Pflege“, der Pflegeeinrichtungen dabei unterstützt, Handlungsbedarf frühzeitig zu erkennen, um die Arbeits- und Beschäftigungsfähigkeit der Pflegenden zu fördern. Ein solcher Check kann auch dazu beitragen, u. a. ergonomische Defizite aufzudecken. Jenach Bedarf finden sich außerdem sowohl Anregungen und Handlungsanleitungen zum Aufbau eines auf Gesundheitseinrichtungen abgestimmten Arbeitsschutzmanagements als auch Präventionsstrategien zu MSE in der Pflege. Aus dem Umfeld der in der Fachgruppe vertretenen Institutionen und weiterer Mitglieder werden auch Leitfäden/Empfehlungen und Konzepte zur Prävention von MSE eingebracht, die an anderer Stelle veröffentlicht sind.
Die Autorin
Stella Hermann ist seit 1994 in der Beratung, Schulung und Projektentwicklung in der betrieblichen Gesundheitsförderung in verschiedenen Branchen tätig. Ihr Schwerpunkt sind dabei seit 2002 Ergonomie und rückengerechter Patiententransfer im Gesundheitswesen. Sie ist ausgebildete Krankenschwester mit Berufserfahrung und Studium zum Lehramt Berufsschule (Gesundheit/Sport) in Hamburg. Sie ist Mitglied im Fachkreis Pflege der Initiative Neue Qualität der Arbeit seit 2007 und in europäischen Netzwerken.
Literaturempfehlungen zum Thema Gesundheitsschutz in der Pflege
Pflege - Erfolgsfaktor Arbeits- und Gesundheitsschutz
Gesund pflegen! Im Bereich der Pflege hat der Gesundheitsschutz eine größere Dimension, denn wie in kaum einem anderen Arbeitsbereich sind hier die gesundheitlichen Beeinträchtigungen vielschichtiger und komplexer.
Für Führungskräfte im Pflegebereich gilt es, diese Herausforderungen zu bewältigen. Das vorliegende Buch versteht sich als unterstützende kompakte Handlungshilfe für die ambulante und stationäre Pflege. Anhand von 23 Fallbeispielen werden konkrete Anleitungen für einen besseren Gesundheitsschutz vorgestellt. Diese entsprechen dem neuesten Erkenntnisstand sowie den Bedürfnissen in der Pflege.
Adipositas-Patienten in Klinik und Pflege
Organisatorische und materielle Voraussetzungen für die Behandlung
Rückenerkrankungen im Bereich der Pflege nehmen kontinuierlich zu. Vor diesem Hintergrund ist besonders zu beachten, dass die Anzahl der Pflegebedürftigen mit höherem Körpergewicht gleichfalls ansteigt. Während in den bariatrischen Kliniken erste Vorkehrungen getroffen wurden, besteht in Krankenhäusern und Kliniken der Regelversorgung, begrenzt auch im Altenpflegebereich, dringender Handlungsbedarf: Hier müssen gezielte bauliche, technische sowie organisatorische Maßnahmen ergriffen werden, um die bestmögliche Pflege übergewichtiger Menschen sicherzustellen und die Verantwortung gegenüber dem Personal gemäß Arbeitsschutzgesetz wahrzunehmen.
Den Führungskräften im Gesundheitswesen, die im Fall von Versäumnissen gebotener Maßnahmen persönlich in der Verantwortung stehen, fehlt es bisher an fachlichen Informationen: Welche Voraussetzungen für die Pflege adipöser Patienten sind unabdingbar?Wie lassen sich bauliche und pflegerische Maßnahmen effektiv umsetzen? Worin besteht das Optimum in der patientengerechten Versorgung einerseits und der Entlastung des Pflegepersonals andererseits?
Auf diese Fragen gibt das Buch klare, praxisnahe Antworten, veranschaulicht durch zahlreiche Grafiken und Übersichten.
Psychische Belastungen am Arbeitsplatz
Ursachen – Auswirkungen – Handlungsmöglichkeiten
Das vorliegende Buch stellt in kompakter Form psychische Belastungen am Arbeitsplatz in ihrer Entstehung und in ihren Auswirkungen dar. Umgebungsbedingte Belastungsfaktoren wie das Sick-Building-Syndrom oder Lärm werden dabei ebenso thematisiert wie zwischenmenschliche Schwierigkeiten durch Konflikte oder Störungen der Work-Life-Balance. Vertiefend wird auf Mobbing und sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz sowie auf die besonderen emotionalen Belastungsphänomene Burnout und Arbeitssucht eingegangen.
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